Ein Loch im Tornetz ermöglicht das zweite Phantomtor der
Bundesliga. Schütze Kießling steht am Moralpranger. Schiedsrichter Brych
verantwortet eine Fehlerkette. Experten fordern ein zweites Spiel. Von Sven Flohr
Schon jetzt ist klar, dass dieses Freitagabendspiel in die Geschichte eingehen wird. In der Partie zwischen zwischen 1899 Hoffenheim und Bayer Leverkusen (1:2)
fiel das zweite Phantomtor der Fußball-Bundesliga-Historie. Erzielt von
Stefan Kießling, ermöglicht durch ein Loch im Netz. Nun diskutiert die
Branche, wie mit diesem Fall umzugehen ist.
So fordert der
frühere Weltschiedsrichter Markus Merk ein Wiederholungsspiel. "Ich bin
kein Justiziar. Es gibt die Tatsachenentscheidung im Fußball. Ich bin
aber auch Fußballer mit Leib und Seele. Ich war und bin immer für
Gerechtigkeit im Fußball. Für mich kann es nur eine Entscheidung geben:
Wiederholungsspiel", sagte Merk bei Sky.
Kießling hatte
den Ball in der 70. Minute ans Außennetz geköpft. Durch ein Loch war das
Spielgerät ins Tor gefallen. Während sich der Leverkusener Angreifer
über seinen Fehlversuch ärgerte, begannen seine Mitspieler zu jubeln.
Verwundert stimmte Kießling bald mit ein. Schiedsrichter Felix Brych
entschied auf Tor. Erst wenige Minuten später, als Hoffenheimer
Ersatzspieler den Referee auf das Loch im Netz hingewiesen hatten, wurde
Brych bewusst, dass der Ball nicht im Tor war. Brych blieb jedoch bei
seiner Tatsachenentscheidung.
Kießling entschuldigt sich via Facebook
Es war streng
genommen der zweite Fehler des Schiedsrichtergespanns. Es ist die
Aufgabe der Unparteiischen, vor dem Anpfiff die Tornetze auf Fehler zu
überprüfen. Kießling selbst sagte später, er habe es nicht richtig
gesehen und sprach von einer "Scheißsituation für mich".
Dies ist nicht
übertrieben. In den sozialen Netzwerken ging bereits kurz nach der
Situation ein Shitstorm über den Leverkusener Angreifer nieder. Auf
seiner Facebook-Seite schrieb er in der Nacht: "Ich kann die Reaktionen
von vielen von Euch hundertprozentig verstehen und bin selbst ganz
aufgewühlt. Nach den Wiederholungen im Fernsehen sehe ich es eindeutig
so: Es war kein reguläres Tor. Im Spiel habe ich nach meinem Kopfball
und dem Drehen des Kopfes nicht genau gesehen, ob der Ball korrekt ins
Tor gegangen ist oder nicht. Irgendwie lag der Ball im Tor. Genau das
habe ich auch dem Schiedsrichter gesagt. Es tut mir leid für alle
Sportfans und den Verlauf des Spiels. So zu gewinnen ist natürlich nicht
schön. Fairness ist wichtig für den Sport, bei uns im Verein und für
mich ganz persönlich."
Merk nahm alle
Beteiligten trotz ihrer Fehler und vielleicht auch moralischer
Verfehlungen in Schutz. "Man kann keinem der Beteiligten einen Vorwurf
machen, weder dem Schiedsrichter noch Stefan Kießling. Es ist eine
absolut unglückliche Situation", sagte er und forderte technische
Hilfsmittel für Schiedsrichter: "Ich habe 2007 schon gesagt: Manchmal
wären technische Hilfsmittel im Extremfall äußerst vorteilhaft und
würden alle Beteiligten aus der Schusslinie nehmen."
Tatsächlich ist
der Videobeweis mittlerweile längst Realität, nur einer darf davon
keinen Gebrauch machen: der Schiedsrichter. Dank Fernsehen und
Smartphones wusste in Hoffenheim binnen Minuten jeder, dass der Ball
nicht im Tor war. Offenbar bald auch Brych, der Hoffenheim wenig später
einen umstrittenen Elfmeter zusprach. Was dafür spricht, das die
TV-Bilder längst Einfluss auf das Spiel nehmen können, auch wenn sie es
offiziell nicht dürfen. Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler monierte
nach Abpfiff, Brych habe alles dafür getan, damit das Spiel noch 2:2
ausgehe.
1994 gab es ein Wiederholungsspiel
Genau wie Völler
nahm unterdessen auch Thomas Helmer den Phantom-Torschützen in Schutz.
Kießling ist quasi Helmers Nachfolger. Der Bayern-Verteidiger hatte am 23. April 1994
beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg (2:1) den Ball mit der Hacke am Tor
vorbeigelegt. Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers entschied nach
Befragen des Linienrichters Jörg Jablonski auf Tor für die Münchner.
Nürnberg legte erfolgreich Einspruch ein, das Wiederholungsspiel
gewannen die Bayern 5:0. Ein Präzedenzfall, den die Hoffenheimer nun als
Trumpf für ihren Protest gegen die Spielwertung wähnen.
"Es geht um
Sekunden, und du weißt als Schütze selbst nicht so genau, ob er drin
war", sagte Helmer bei Sport1 über den Freitagabend: "Kießling wird auch
überlegt haben: Was mach ich jetzt, was ist passiert? Und diese
Sekunden entscheiden darüber, bist du jetzt der liebe Junge oder der
böse Bube." Was passiert ist, sei "nicht nur der Fehler des Spielers,
sondern auch der Fehler des Schiedsrichters. Es ist keine schöne
Geschichte, ich bin sehr gespannt, was jetzt passiert". Auch für Helmer
stehe fest: "Das Spiel muss wiederholt werden, keine Frage."